Emetophobie – Angst vor Erbrechen: Betroffene haben Furcht vor Übelkeit, Erbrechen, Kontrollverlust, Ekel & öffentlichem Bloßgestelltwerden.

Stell dir vor, schon der Gedanke daran, sich zu übergeben oder jemanden beim Erbrechen zu sehen, löst in dir massive Angst aus – so stark, dass du dein Leben drumherum ausrichtest, um jede Möglichkeit zu vermeiden. Genau das erleben Menschen mit Emetophobie (auch „vomiting phobia“ oder „fear of vomiting“) – eine spezifische Phobie, die sich um das Thema Erbrechen dreht.
Was ist Emetophobie?
Emetophobie ist die irrationale und übersteigerte Angst davor, sich zu erbrechen, anderen beim Erbrechen zuzusehen oder in Situationen zu geraten, in denen Erbrechen möglich sein könnte. Sie gehört zu den spezifischen Phobien gemäß psychologischer Klassifikationen. Betroffene sind oft nicht nur ängstlich wegen des Erbrechens selbst, sondern auch wegen der damit verbundenen Empfindungen – Übelkeit, Kontrollverlust, Peinlichkeit, Ekel, oder dem Gedanken, in der Öffentlichkeit „bloßgestellt“ zu werden.
In vielen Fällen ist der Auslöser eine traumatische oder unangenehme Erfahrung mit Erbrechen – etwa eine starke Übelkeit, Erbrechen in der Öffentlichkeit oder Beobachtung eines solchen Ereignisses – in Kindheit oder Jugend. Allerdings tritt Emetophobie auch ohne klar identifizierbares Ereignis auf, vermutlich durch eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Sensibilität für Ekel und verstärkender Vermeidungsdynamik.
Ein zentrales Merkmal ist das Vermeidungsverhalten: Menschen mit Emetophobie neigen dazu, bestimmte Lebensmittel, Situationen oder Orte zu meiden, die sie mit Erbrechen in Verbindung bringen – z. B. Restaurants, Reisen, überfüllte Orte, Mahlzeiten mit unbekannten Zutaten oder gar soziale Aktivitäten. Mit der Zeit können diese Vermeidungen stark das Leben einschränken: soziale Isolation, eingeschränkte Ernährung, Vermeidung von Reisen, Terminschwierigkeiten – all das sind mögliche Folgen. Wie also kann man Emetophobie überwinden?
Bedeutung & psychologischer Hintergrund
Warum reagiert das Gehirn bei Emetophobie – Angst vor Erbrechen – so stark? Im Kern stehen mehrere psychologische Mechanismen dahinter:
- Kontrollverlustangst: Erbrechen ist schwer steuerbar – das versetzt das Gehirn in Alarmbereitschaft, weil etwas aus dem Selbst heraus außer Kontrolle geraten könnte.
- Ekel & Negatives Erleben: Ekel ist eine starke, evolutionär verankerte Emotion. Wenn Ekel mit Übelkeit, Scham oder Angst kombiniert wird, kann er sich zu einer Phobie verdichten.
- Kognitionen / Überzeugungen: Zum Beispiel Gedanken wie „Wenn ich mich übergebe, ist das eine Katastrophe“, „Ich kann das nicht kontrollieren“ oder „Andere werden mich verurteilen“. Diese Gedanken verstärken Angst und Vermeidung.
- Verstärkungs- und Vermeidungslernen: Immer wenn jemand Situationen, die Angst auslösen, vermeidet, entgeht er kurzfristig dem Unwohlsein – das wird als Bestätigung wahrgenommen, weiterhin Vermeidungsverhalten zu praktizieren. Langfristig wird die Angst dadurch aber größer.
- Interozeptive Sensitivität: Viele Betroffene reagieren empfindlich auf körperliche Empfindungen wie Übelkeit, Schwindel oder Magenbeschwerden – sie interpretieren sie als Vorboten eines Erbrechens.
Wissenschaftlich orientierte Behandlungsansätze betonen, dass Emetophobie individuell auf die Auslöser, Gedanken, Vermeidungsstrategien und körperliche Sensitivität zugeschnitten behandelt werden sollte. Zu den Modalitäten zählen häufig: Kognitive Verhaltenstherapie (CBT), Expositionstherapie / Breiten- & Reaktionsverhinderung (ERP), Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), EMDR bei traumatischen Aspekten und mitunter Hypnotherapie als ergänzende Methode.
Auswirkungen auf den Alltag
Für viele Menschen mit Emetophobie wird der Alltag von ständiger Angst und Kontrolle geprägt. Hier sind typische Bereiche, in denen Betroffene Einschränkungen erleben:
1.) Ernährung & Essverhalten
Viele Betroffene meiden bestimmte Lebensmittel, vor allem solche, die sie als „riskant“ empfinden (z. B. Fisch, Meeresfrüchte, Speisen mit Sauce, Essen unterwegs). Die Folge ist oft eine stark eingeschränkte Diät, manchmal Untergewicht oder Nährstoffmängel.
2.) Soziales & Freizeitaktivitäten
Betroffene fühlen sich oft gezwungen, Essen in Restaurants, Reisen, Partys oder Familienfeste zu vermeiden. Selbst der Geruch oder das Geräusch von Übelkeit und Erbrechen kann Angst auslösen. Die Teilnahmen an Veranstaltungen, Reisen oder Ausflügen werden somit häufig eingeschränkt oder abgesagt. Die Lebensqualität sinkt, die Isolation wächst.
3.) Berufs- & Schulalltag
Emetophobie kann die Konzentration und Leistungsfähigkeit im Schulalltag beeinträchtigen. Viele fürchten sich davor, im Klassenraum von Übelkeit heimgesucht zu werden und sich vor Mitschüler:innen und Lehrer:innen zu blamieren. Viele Erwachsene erleben ähnliche Situationen später im Berufsleben, z.B. im Büro mit Kolleg:innen. Bei beruflichen Reisen oder in Situationen mit Unsicherheit (z. B. Fortbildungen, Dienstreisen) steigt der Stress.
4.) Körperlich & Psychisch
Körperliche Angstreaktionen bei Triggern sind Herzklopfen, Schweiß, Übelkeit, Zittern, Atemnot und Schwindel. Viele Betroffene erleben eine ständige Vigilanz gegen Hinweise, die mit Übelkeit oder Krankheit zusammenhängen („Bin ich krank? Werde ich mich übergeben?“). Chronischer Stress, Erschöpfung und Angst führen schließlich zu Schlafproblemen, Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen.
Komorbiditäten
Emetophobie tritt nicht selten zusammen mit anderen Erkrankungen auf, wie z.B. Angststörungen, Sozialphobie, Zwangsstörungen (OCD), Essstörungen oder Depression. In solchen Fällen wird die Therapie umfassender und multidisziplinärer.
Selbsthilfestrategien für den Alltag
Auch wenn professionelle Hilfe oft notwendig ist, helfen Selbsthilfestrategien, Schritt für Schritt Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Hier einige hilfreiche Ansätze:
1.) Atem- & Entspannungstechniken
Langsame, tiefe Atmung (z. B. Box-Breathing, 4-7-8-Methode) hilft, den Körper zu beruhigen und die Angstsymptome zu dämmen. Progressive Muskelrelaxation oder autogenes Training können ebenfalls helfen, Spannung abzubauen.
2.) Grounding- / Achtsamkeitsübungen
Techniken wie 5-4-3-2-1 helfen, aus der gedanklichen Spirale heraus in den aktuellen Moment zurückzukommen. Geführte Bilderreisen wie der „sichere Ort“ helfen, sich emotional zu regulieren.
3.) Graduierte Konfrontation / eigene Mini-Exposures
Du kannst dich selbst in kleinen Schritten gefürchteten Situationen annähern: zuerst Wörter, dann Bilder, dann Geräusche, später Videos, oder interne Empfindungen (z. B. Drehung im Stuhl) können herbeigeführt und ausgehalten werden – stets kontrolliert und mit Pausen.
4.) Kognitive Strategien & Gedanken hinterfragen
Arbeite mit Glaubenssätzen: „Wenn ich mich übergebe, ist alles verloren“ → hinterfrage: Ist das wirklich so? Schreibe alternative Gedanken auf, die realistischer und hilfreicher sind.
5.) Werteorientiertes Handeln & Akzeptanz
Akzeptiere, dass die Angst eines deiner Gefühle ist, aber nicht dein Leben steuern muss. ACT (Acceptance & Commitment Therapy) kann dir helfen, deine persönlichen Werte zu definieren und trotz deiner Angst handlungsfähig zu bleiben.
6.) Soziale Unterstützung & Offenheit
Sprich mit vertrauten Menschen über deine Angst, suche Austausch in Selbsthilfegruppen oder Onlineforen. Manchmal hilft schon das Wissen: Ich bin nicht allein mit dieser Angst.
7.) Routine & Körperpflege
Regelmäßige Tagesstruktur, ausgewogene Ernährung, Schlafhygiene und Bewegung unterstützen deine Stabilität. Vermeide übermäßige Koffein- oder Alkoholaufnahme, da sie die Angst verstärken können.
Psychologische Therapie: Wie man mit Emetophobie arbeitet
Viele Betroffene fragen sich: „Wie kann ich meine Emetophobie überwinden?“ Eine fundierte Therapie ist in vielen Fällen zentral, um Emetophobie – Angst vor Erbrechen – nachhaltig zu überwinden. Hier sind die gängigsten und evidenzbasierten Ansätze:
1.) Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) + Exposition
CBT ist die verbreitetste und empirisch am gründlichsten untersuchte Therapieform bei Emetophobie. In der Therapie werden Gedanken, Überzeugungen und Verhaltensmuster in Bezug auf Erbrechen identifiziert und hinterfragt. Wichtig ist die graduierte Exposition: man konfrontiert sich systematisch mit angstauslösenden Reizen unter therapeutischer Begleitung – in Worten, Bildern, Geräuschen und später real (In-Vivo). Ein häufiger Bestandteil ist interoceptive Exposure – das vorsätzliche Hervorrufen körperlicher Empfindungen (z. B. leichte Übelkeit durch Bewegungen, Simulation von Magenkrämpfen), um die Angst vor körperlichen Symptomen zu reduzieren. Die Therapie nutzt häufig eine Angsthierarchie: beginnend mit milden Auslösern (Wörter, Bilder) bis hin zu schwereren (Videos, das Erleben von realen Situationen).
2.) EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
Wenn die Angst vor dem Erbrechen auf belastenden, unaufgearbeiteten Erinnerungen basiert (z. B. starkes Erbrechen in Kindheit), kann EMDR eingesetzt werden. Dabei wird die traumatische Erinnerung wiederholt in Gedanken aktiviert, während Augenbewegungen oder andere bilaterale Stimulation erfolgen, um die emotionale Intensität zu reduzieren. So entsteht eine Desensibilisierung gegenüber der emotionalen Ladung, die mit dem Trauma verbunden war.
3.) Acceptance & Commitment Therapy (ACT)
ACT ergänzt oft CBT, indem sie nicht auf Vermeidung zielt, sondern Akzeptanz von unangenehmen Empfindungen fördert und Menschen ermutigt, gemäß ihren Werten zu handeln – auch in Gegenwart der Angst.
4.) Ergänzende Ansätze: Hypnotherapie, Medikamente
- Hypnotherapie kann helfen, durch Trance-Zustände das Unterbewusstsein anzusprechen und neue Assoziationen zu schaffen.
- Medikamente (z. B. SSRIs, Benzodiazepine) können in akuten Fällen zur Angstlinderung eingesetzt werden – jedoch meist nur als Ergänzung zur Psychotherapie, nicht als alleinige Lösung.
Wichtige Prinzipien in der Therapie
- Stufenweise Vorgehensweise: Räume werden schrittweise erweitert, nicht überstürzt.
- Kombination von Kognition & Konfrontation: Gedankenarbeit + Exposition.
- Klient:innenzentrierung und Selbstwirksamkeit: Der/die Betroffene ist im Mittelpunkt, der Therapieprozess ist eine kooperative Zusammenarbeit.
- Sicherheit & Stabilisierung: Vor Expositionen wird oft mit Stabilisierung, Ressourcenarbeit und Entspannungstechniken gearbeitet.
- Monitoring & Anpassung: die Therapie wird regelmäßig evaluiert und an das individuelle Angstniveau angepasst.
- Transfer in den Alltag: Übungen erfolgen schrittweise auch in echten Lebenssituationen.
Conclusio
Emetophobie – Angst vor Erbrechen! Emetophobie ist eine oft unterschätzte, stark beeinträchtigende Phobie: die Angst vor dem Erbrechen kann sich auf Ernährung, soziale Teilhabe, Beruf, Beziehungen, Reiseverhalten und psychische Stabilität auswirken. Doch mit Selbsthilfestrategien wie Atemtechniken, Achtsamkeit, graduierter Konfrontation und unterstützenden Gedanken kannst du beginnen, deinen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Für viele Menschen ist therapeutische Begleitung essenziell – insbesondere kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition, ergänzt durch ACT, EMDR oder Hypnotherapie – um emotionale Reaktionen zu verändern und langfristig ein angstfreieres Leben zu führen.
Wenn du oder jemand, den du kennst, unter Emetophobie leidet, kann der Schritt, professionelle Hilfe zu suchen, ein mutiger und wichtiger Weg sein. Lass uns gerne im kostenlosen Erstgespräch über dieses Thema sprechen!
Quellen:
- Cleveland Clinic: Emetophobia (Fear of Vomiting) (Cleveland Clinic)
- Dr. Ori – Emetophobia Treatment Options (psychologistsnyc.com)
- ADAA – Fear of Vomiting, or Emetophobia (adaa.org)
- Healthline – Understanding Emetophobia or Fear of Vomit (Healthline)
- PMC – A fear of vomiting (emetophobia) (PMC)
- Emetophobia.net – Exposure & treatment best practices (emetophobia.net)
- Summit Counseling – Therapy approaches for Emetophobia (summitcounselingtn.com)
- EvolutionsBH – EMDR & CBT for Emetophobia (Evolutionsbh)
- The Emetophobia Manual (Ken Goodman) (Ken Goodman LCSW)
- Psychology Today – Hypnosis treatment for Emetophobia (Psychology Today)